Eine neue Perspektive für schwer behandelbare Nervenschmerzen
Diabetische Neuropathie gehört zu den häufigsten und schmerzhaftesten Langzeitkomplikationen von Diabetes mellitus. Betroffene leiden oft unter brennenden, stechenden Nervenschmerzen – und viele herkömmliche Schmerzmittel zeigen nur begrenzte Wirkung. Eine neue israelische Langzeitstudie über fünf Jahre liefert nun Hinweise, dass inhalativer medizinischer Cannabis eine wirksame und gut verträgliche Alternative sein kann.
Beobachtungsstudie über fünf Jahre – reale Patienten, echte Ergebnisse
Zwischen 2018 und 2025 begleiteten Forscher 52 Patientinnen und Patienten mit therapieresistenter diabetischer Neuropathie. Alle hatten zuvor mindestens drei gängige Schmerzmittel ausprobiert – ohne nachhaltigen Erfolg.
Nach einem einmonatigen Aussetzen früherer Therapien erhielten die Teilnehmer individuell dosierten Cannabis mit 20 % THC und unter 1 % CBD, der per Inhalation (Vaporizer oder kontrolliertes Rauchen) verabreicht wurde. Die Nachuntersuchungen fanden jährlich statt. 96 % der Teilnehmenden schlossen die Studie ab.
Ergebnisse: Schmerzreduktion, weniger Medikamente, bessere Lebensqualität
Die Zahlen sprechen für sich:
- Schmerzstärke sank von 9,0 auf 2,0 (Skala 0–10).
- Beeinträchtigung durch Schmerzen reduzierte sich von 7,5 auf 2,2.
- Der LANSS-Wert für neuropathische Symptome fiel deutlich.
- Auch der Langzeitblutzuckerwert (HbA1c) verbesserte sich von 9,77 % auf 7,79 %.
Ein weiterer zentraler Befund: Der Einsatz starker Medikamente nahm drastisch ab:
- Opioide (umgerechnet in Morphinäquivalente) sanken um über 90 %.
- Gabapentin, Duloxetin und Pregabalin wurden bei fast allen Patienten reduziert oder ganz abgesetzt.
Gute Verträglichkeit – keine schwerwiegenden Nebenwirkungen
Während der gesamten Studiendauer kam es zu keinen schwerwiegenden Nebenwirkungen. Lediglich 15,4 % der Patienten berichteten über milde Effekte wie trockenen Mund oder kurzzeitige Euphorie – hauptsächlich zu Beginn der Dosiseinstellung.
Trotz teils schwerer Vorerkrankungen, darunter Herzinsuffizienz, blieb die Therapie gut verträglich.
Warum Cannabis wirkt: Das Endocannabinoid-System
THC wirkt im menschlichen Körper über das Endocannabinoid-System, das unter anderem Schmerzsignale und Entzündungsreaktionen reguliert. Die Aktivierung von CB1- und CB2-Rezeptoren im Nervensystem scheint die Schmerzweiterleitung zu hemmen und nervenschädigende Entzündungen zu reduzieren – besonders wichtig bei chronisch erhöhtem Blutzucker.
Inhalation als ideale Darreichungsform
Inhalierter Cannabis zeigt eine schnelle Wirkung (innerhalb von Minuten) – ideal für plötzliche Schmerzschübe. Die Dosis lässt sich individuell anpassen, was ihn flexibler macht als etwa Öle oder Kapseln.
Im Verlauf der Studie stieg der durchschnittliche monatliche Cannabisverbrauch auf etwa 43 Gramm, wobei keine Anzeichen für eine gesundheitsschädliche Überdosierung festgestellt wurden.
Zukunftsperspektiven: Präzisionsmedizin durch Biomarker
Die Autoren betonen, dass es sich um eine Beobachtungsstudie ohne Kontrollgruppe handelt. Trotzdem geben die konstant positiven Ergebnisse über fünf Jahre Anlass für randomisierte klinische Studien (RCTs).
Zukünftige Studien sollen zudem biologische Marker, etwa Speicheltests oder Pupillometrie, integrieren. Damit könnte die Cannabistherapie präziser und individueller auf Patienten zugeschnitten werden.
Weitere Einblicke in medizinisches Cannabis
Wie THC das Schmerzempfinden im Gehirn filtert – insbesondere bei Fibromyalgie – erklärt unsere Analyse hier.
Ein Rückblick auf die medizinische Cannabisentwicklung in Israel zwischen 2011 und 2025 zeigt, wie regulatorische Rahmenbedingungen den Zugang zur Therapie beeinflussen zum Artikel.
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FAQ – Häufig gestellte Begriffe erklärt
Was ist THC?
Tetrahydrocannabinol (THC) ist der psychoaktive Hauptwirkstoff der Cannabispflanze. Er beeinflusst das Nervensystem und kann Schmerzen, Übelkeit und Muskelverspannungen lindern.
Was misst der HbA1c-Wert?
HbA1c zeigt den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel der letzten 8–12 Wochen an. Ein Wert unter 7 % gilt in der Regel als gut kontrollierter Diabetes.
Was ist der LANSS-Score?
Der LANSS (Leeds Assessment of Neuropathic Symptoms and Signs) ist ein Fragebogen zur Beurteilung von Nervenschmerzen – zum Beispiel Brennen, Kribbeln oder Empfindlichkeit.
Was bedeutet Morphinäquivalent (MEQ)?
Das Morphinäquivalent erlaubt den Vergleich unterschiedlicher Opioide, indem sie auf die Wirkkraft von Morphin umgerechnet werden – etwa zur sicheren Reduktion oder Umstellung.