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Wie Israel zur Pioniernation für medizinisches Cannabis wurde – und warum die Patientenzahlen sinken

by CX

In den letzten zehn Jahren hat sich Israel zu einem der führenden Länder für medizinisches Cannabis entwickelt. Das staatlich regulierte Programm wuchs rasant und erreichte im Jahr 2024 mehr als 140.000 aktive Patientinnen und Patienten.
Doch nach diesem Höhepunkt kam die Wende: Die Zahl der Cannabis-Patienten geht zurück.

Eine neue Studie im Journal of Cannabis Research zeichnet diese Entwicklung nach – und zeigt, wie politische Reformen den Markt und die Patientenversorgung verändert haben.


Vom Randphänomen zur staatlichen Gesundheitsversorgung

Im Jahr 2011 besaßen nur 3.097 Israelis eine Lizenz für medizinisches Cannabis. Bis Januar 2024 stieg diese Zahl auf 140.483 – ein Zuwachs von über 4.400 %.

Drei Reformen waren entscheidend für diesen Boom:

  • Dezentralisierte Verschreibung (2020): Zugelassene Ärztinnen und Ärzte durften Cannabis direkt verschreiben.
  • Produktbezogene Preisgestaltung (2019): Cannabis wurde über Apotheken verkauft, nicht mehr pauschal über Produzenten.
  • Erweiterte Indikationen: Neue Erkrankungen wie posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Epilepsie oder Autismus kamen hinzu.

Am häufigsten wird Cannabis gegen chronische nicht-tumorbedingte Schmerzen (CNCP) eingesetzt – rund 60 % der Patientinnen und Patienten. PTBS steht an zweiter Stelle – ein Spiegelbild der Konfliktgeschichte Israels.


Der plötzliche Rückgang nach 2024

Nach Jahren des Wachstums fiel die Zahl der aktiven Cannabis-Patienten innerhalb von 15 Monaten um 7,5 %, beginnend mit dem Höchststand im Januar 2024.

Der Hauptgrund liegt in der Reform vom April 2024: Die Verantwortung für Verschreibungen ging auf die öffentlichen Krankenkassen (HMOs) über. Nur CNCP und PTBS blieben unter der Aufsicht der nationalen Cannabis-Einheit.

Forschende sehen mehrere Ursachen:

  • Strengere Kontrollen durch die HMOs
  • Verzögerungen bei der Umstellung des Systems
  • Nichtverlängerung fragwürdiger Lizenzen, nachdem Unregelmäßigkeiten bekannt wurden – ein Arzt soll allein über 13 000 Genehmigungen ausgestellt haben.

Kostenexplosion und Marktboom

Bis 2019 zahlten Patientinnen und Patienten einen festen Monatsbetrag. Danach führte die Preisreform zu einem marktbasierten Modell: Die Kosten variierten je nach Produkt und Menge – mit deutlichen Preissteigerungen für höhere Dosierungen.

2024 wurde der israelische Markt für medizinisches Cannabis auf 252 bis 684 Millionen US-Dollar jährlich geschätzt. Cannabisblüten machten 94 % des Verbrauchs aus.
Importe – vor allem aus Kanada – verstärkten den Preisdruck und führten zu Forderungen nach einer Begrenzung ausländischer Lieferungen.


Wer nutzt medizinisches Cannabis?

  • 62 % Männer, was teilweise mit höheren PTBS-Raten unter Veteranen zusammenhängt.
  • Ältere Erwachsene dominieren die Patientengruppe.
  • Die Mehrheit bevorzugt Blüten zum Rauchen, obwohl Fachrichtlinien Öle oder Inhalatoren empfehlen.

Datenlücken und fehlende Transparenz

Seit die HMOs die Verschreibung übernommen haben, kritisieren Forschende eine zunehmende Intransparenz.
Regelmäßige Monatsberichte werden unvollständig veröffentlicht, und genaue Zahlen zu HMO-Verschreibungen fehlen.
Ohne einheitliche Datenerhebung lässt sich kaum beurteilen, ob Patientinnen und Patienten ihre Therapie fortsetzen oder das System verlassen.


Blick nach vorn

Israels Modell bleibt international ein Referenzpunkt: wissenschaftlich fundiert, staatlich kontrolliert und patientenorientiert.
Doch mit der Dezentralisierung entstehen neue Risiken – von Verwaltungshemmnissen bis zu ungleichen Zugängen.
Die zentrale Lehre: Selbst erfolgreiche Systeme müssen regelmäßig überprüft und angepasst werden.


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FAQ: Zentrale Begriffe erklärt

Was bedeutet „chronischer nicht-tumorbedingter Schmerz (CNCP)“?
Darunter versteht man anhaltende Schmerzen über mehr als drei Monate, die nicht durch Krebs verursacht werden – etwa Gelenk-, Nerven- oder Rückenschmerzen.

Was sind HMOs?
Die Health Maintenance Organizations sind Israels gesetzliche Krankenkassen. Seit 2024 stellen sie den Großteil aller Verschreibungen für medizinisches Cannabis aus.

Worin liegt der Unterschied zwischen „Blüte“ und „Öl“?
„Blüte“ bezeichnet getrocknete Cannabisblüten, die meist geraucht oder verdampft werden.
„Öl“ ist ein Extrakt, der oral eingenommen wird. Beide Formen unterscheiden sich in Wirkung, Dosierung und Nebenwirkungen.

Warum wird Cannabis gegen PTBS eingesetzt?
Viele israelische Veteranen leiden an PTBS. Cannabis kann Ängste und Schlafstörungen lindern – auch wenn wissenschaftliche Belege noch begrenzt sind.

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